Der Ausstellungspavillon Nietzschmann-Wommer als Modell

Aus dem Interesse an Familien- und Firmengeschichte wie auch an der Stadt- und Kunstgeschichte kam uns 2017 die Idee den Pavillon, von dem ursprünglich durch eine Gedenkmarkenauktion erfuhren, als Modell einmal nachzubauen. Angedacht war das PAVILLON-Modell als originellen Hintergrund für die Garteneisenbahn. Dass die Datenlage relativ gering war, interessierte da natürlich noch nicht so. Die Vorderansicht war das Entscheidende!

Inspiriert wurde wir von der Kohlezeichnung von Paul Möbius: Der Pavillon in einer idealisierten Landschaft. Da wirkt natürlich die Landschaft weiter, wenn das Modell nicht im gleichen Maßstab (1:22,5, Maßstab der Garteneisenbahn) gebaut wird. Bei Maßstab 1:22,5 hätte der Pavillon die gigantische Breite von mehren Metern! So entstand das Modell des Pavillons “Nietzschmann-Wommer” im Maßstab 1:50.

Die Analysephase

Die ersten Recherchen führten uns ins Stadtarchiv. Weil der Pavillon ein Privatbau war, gibt es im Stadtarchiv keine Unterlagen – so die damalige Auskunft. Es wurden die damals bekannten Bilder zur Festlegung vom Modell-Maßstabs und zur Ermittlung der Hauptmaße genutzt und es wurden jede Menge Zeichnungen angefertigt, wieder verworfen und überarbeitet. Mithilfe von Ausstellungsplänen und Vorderansichten konnte dann jedoch letztendlich der Pavillon rekonstruiert werden. Insbesondere der Winkel zwischen den beiden Seitenflügeln und die Kontur der Rückseite waren echte Herausforderungen.

Rekonstruktion des Baukörpers mit Hilfe historischer Fotografie

Selbst die Farbgebung war ein Problem – es gab keine eindeutigen Farbbilder. Die Farbe von Dach, Mauerwerk und Fahnen blieb ein Geheimnis. Ebenso gab es keinerlei Bau-Maße. Hier halfen Menschenabbildungen auf den wenigen Fotos. Der Durchschnittsdeutsche Mann um 1897 war 169 cm groß, die Frau 156 cm. Mit Ausstellungsplan und Google Maps Luftaufnahmen wurde parallel versucht die Haupt-Maße mittels Schattierung im Gras zu ermitteln. Der ovale zentrale Teich war ein Schlüssel dazu. Zum Teil konnte man dabei noch Konturen der Gas-Wasser-Halle vom ehem. Nachbargebäude erkennen aber nicht die vom Pavillon! Hier würden sicherlich moderne Lidar-Scans weiterhelfen.

Der Grundriss 

Anfangs versuchten wir diverse Ausstellungspläne mit unterschiedlichen schematischen Pavillon-Grundrissen zu nutzen. Jedoch wusste 1896 anscheinen keiner, wie genau dieser Privatbau einmal aussehen sollte…

Zum Nachbau des Pavillons standen nur wenige Fotos und eine Kohlezeichnung zur Verfügung. Bauakten oder Ähnliches konnten zum damaligen Zeitpunkt leider nicht ermittelt werden, so dass manche Details spekulativ realisiert wurden. Das sind insbesondere die Gestaltung der Rückseite, die Fliesenanordnung und die farbliche Gestaltung von Dach und Fassade.

Die Freilichtbühne in Bad-Lausick diente als erste Anregung auf der Suche nach einer möglichen Basis für den Grundriss: Die Vermutung typischer Jugendstil-Vorbilder aus Flora oder Fauna – möglicherweise Jakobsmuschel, Blütenansicht oder Ginkgo-Blatt – lag nah. Aber letztlich ergaben sich so nur grobe Vorbilder.  

So wurde letztendlich der Winkel zwischen Seitenflügeln 90 Grad 135/90/135 stark vermutet und so, gewählt.

Die räumliche Gestaltung

Hier kann man auf die Analogie beim Palast von Knossos verweisen: War es Palast oder Nekropole? Hier ging es um die Frage bei der Rekonstruktion ausgehend von den Grundmauern und z.B. gefundenen Behältern, ob es sich um einen Palast handelte oder um eine Stadt der Toten laut Prof. Wunderlich (1928-1974). Hier war/ist die Antwort natürlich noch schwieriger, weil es wohl keine Bilder von den Innenansichten gibt.


Der Modellbau

Das Modell setzt sich aus 4 Grundmodulen zusammen: Mittelteil, 2 Seitenflügel und Arkadenteil wobei diese sich in der Anfangsphase mehrfach änderten.

Materialien                

Es wurden PVC-Platten und PVC-Rohre u.Ä. verwendet. Auch glasklares Acryl-Rohr mit großem Dmr.  als stabiler Träger für die gebogenen Fenster incl. Fensterfaschen. Ob die tatsächlich gekrümmt waren ist die Frage. Beim Dresdner Zwinger gibt es sogar nach innen gewölbte Fenster!!! Fenster und Dachdekoration in der 1.Version in Grün/Weiß fertig-2D-Druckteile für die Dachdekoration mit Schuppenmuster und die Fenster (weiße Farbe auf Folie glasklar) fertigte die Fa. TauerDruck im Siebdruckverfahren.

Sockel des Pavillons
Vom Foto zum Modell – [ v1 – Dekorative Kunst – Heft 5 – Seite 233; v3 – Paul Möbius – Jugendstil in Leipzig, Stefan W. Krieg, Bodo Pientka ]

Aber auch moderne 3D-Modelingsoftware (Blender, Sketch, 3D Builder) wurden von uns genutzt. Wichtig war hier ein gutes Mittel zwischen der Anzahl an Polygonen und Auflösung zu finden, da die Objekte einerseits nicht zu rechenintensiv und andererseits nicht zu verpixelt sein sollten. Mittels 3D-Druck, bei der Firma rapidobject, entstanden so besonders die vielen komplizierten Teile, wie: Gesimse, Dachrinnen, florale Elemente, die Stele mit dem Schwein und tanzenden Damen, Schriftzüge

Es war ja alles auch eine Kostenfrage: Da kamen schon knapp 1000€ für diese Kleinteile zusammen. Wir lernten dabei, dass wenn man viele 3D Einzelobjekte mit dünnen Stehlen verbindet enorm die Druckkosten senken konnte – sonst hätte es leicht das 3fache kosten können.

Eine Teleskop-Antenne eines ausgedienten Kofferradios dient als Fahnenmast!!!

Dann wurden noch tatsächlich 3 Modellbau-Schweine in verschiedenen Größen gekauft – wie auch 2 Barbie-Puppen deren Köpfe für die beiden Hermen verwendet weden sollten. Aber die Barbies wurden nicht geköpft! Jedoch wurden – zu guter Letzt unblutig – die Köpfe der Hermen (Hermen bestehen aus Säule + Kopf) per Hand mit Näh-Nadeln modelliert (härtbare Knetmasse, in der Mikrowelle ausgehärtet). Die Ausschussquote war moderat: Aber es gab schon einige verzerrte und lange Gesichter – bei den Modellgesichtern aber auch bei uns!!!

Weihnachtskugeln aus Plastik fanden Verwendung für die Kuppel-Decke im vorderen mittleren Eingangsbereich

2017 konnten wir schließlich unseren Pavillon auf der SWA-Ausstellung zur Vernissage zum ersten Mal öffentlich zeigen – damals noch mit grünem Dach.

Das fertige Modell
Das fertige Modell im Jahr 2017
Die Tänzerinnen einer zufällig gefundenen Jugendstilschale ähneln verblüffend der Darstellung auf dem Sockel
Die Tänzerinnen der Jugendstilschale ähneln verblüffend der Darstellung auf dem Sockel des Pavillons ( www.wise-unicorn.com )

Ein interessantes Detail: Der Sockel mit dem über allem ragenden Keiler wird von 3 jungen Frauen mit wehenden Kleidern umgarnt. Es steht die Frage im Raum: Wurde diese Darstellungsform der 3 Jungfrauen von einer Jugendstilschale inspiriert? Stand diese Schale vielleicht auf dem Schreibtisch von Paul Möbius?

Durch einen Zufallsfund im Internet auf der Webseite der chinesischen Firma „Veronese“, die mit Repliken aus der Jugendstilepoche handelt, konnte eine verblüffend ähnliche Darstellung der 3 Jungfrauen gefunden werden.

Erst 2 Jahre nach Fertigstellung des Modells sollten wir zufällig im Nachlass eines Enkels von Otto Wommer eine Lithographie von Paul Möbius sowie einen Zeitungsausschnitt, in dem der Pavillon sehr detailliert im Grundriss und in der Frontalansicht dargestellt wird. Wie das Leben so spielt…


Fazit aus Abgleich Modell mit neueren Quellen

Abweichend vom Modell (Forschungsstand 2017) – wurde der Pavillon von Paul Möbius auf der Rückseite als Flachbau realisiert. So ist der Bau im Modell vielleicht sogar schöner als im Original realisiert. Die zwei hinteren Türmchen an den Seitenflügeln waren auf den damals bekannten Abbildungen nicht zu erkennen und wurden beim Pavillonbau-Modellbau “vorhergesehen”. Erst ein weiterer Fund – eine Werbung in der leicht frivolen Zeitschrift “Wiener Caricaturen” in Ausgabe 39 und 40 – gibt Aufschluss, dass tatsächlich auch hinten zumindest ein Türmchen angebracht war. Auch der Flachbau ist dort erkennbar.

Eine weitere wichtige Erkenntnis ergibt sich aus der “1. Beilage zum Leipziger Tageblatt und Anzeiger, Nr 210” vom Montag, den 26. April 1897, auf die wir mit Hilfe der neuen Volltextsuche für digitale Sammlungen im SLUB Dresden gestoßen sind: “Unweit des Meßviertels steht die hundert Meter lange Gartenbauhalle; ihren Mittelbau krönt ein Glockenthürmchen mit Sonnenuhren, daneben die mächtige Kunsthalle mit ihren weißschimmernden Gipskuppeln, die an die Wölbungen von Moscheen gemahnen, weiterhin Nietzschmann-Wommer’s Riesen-Pavillon mit dem laubgeschmückten Schwein auf der Giebelkrönung, ein seltsamer Bau, originell durch und durch, selbst in den zu Fleischergesellen verwandelten Hermen und dem blutrothen Dach.” … Dies bedeutet, dass unsere Annahme eines Sachsen-grünen oder patina-grünen Daches ebenfalls im Modell zu überholen war. Zum 125sten Jubiläum der STIGA wurde das Modell mit neu “gedecktem” Dach in der HTWK im Frühjahr präsentiert.

Im Herbst 2022 folgt eine weitere Präsentation des Pavillon Modells “STIGA leuchtet” im Kunstkraftwerk. In einer IMMERSIVE 360° Show wird multimedial die STIGA auf völlig neue Art und Weise wieder erlebbar. Unter der künstlerischen Leitung von Stefano Fake und seinem Team aus Florenz und der kuratorischen Leitung von Anne Dietrich ist eine 15-minütige Show in Zusammenarbeit mit der HTWK Leipzig, des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, des Sächsischen Wirtschaftsarchivs und Enrico Ruge entstanden. Musikalisch untermalt werden die Bilder durch verschiedene Arrangements dreier bei der STIGA preisgekrönter Märsche.

Im Herbst 2023 wurde im Rahmen der neuen Dauerausstellung über den Architekten Paul Möbius des Arbeitskreises Gohliser Geschichte des Leipziger Geschichtsvereins von Ursula Hein und Wolfgang Leyn in Kooperation mit Dr. Stefan W. Krieg von Hößlin unser Modell des Pavillons Nietzschmann-Wommer für 8 Wochen verliehen. Ausstellungsort war standesgemäß das Infozentrum in der Georg-Schumann-Str. 126 – in einem wunderschönen Jugendstilbau, eigens von Paul Möbius konzipiert.

Modell des Pavillons Nietzschmann-Wommer bei der Ausstellung über den Architekten Paul Möbius
Modell des Pavillons Nietzschmann-Wommer bei der Ausstellung über den Architekten Paul Möbius

Die überaus erfolgreichen Ausstellungseröffnung am 10.09.2023 mit über 100 Besuchern – trotz Schornsteinsprengung und Tag des offenen Denkmals – zeugt vom hohem Interesse an der Schaffenskraft des Leipziger Jugendstilarchitekten, von der neben unserem Pavillon auch die gelungenen Layouttafeln der Ausstellung zeugen. Nach Dr. Krieg von Hößlins kenntnisreichen Vortrag und einigen Infos zum Bau des Pavillonmodells von Thomas Wommer ging es im Anschluss auf Möbius’ Spurensuche durch Gohlis. Am 24. Oktober fand die Verabschiedung des Modell mit einem Vortrag von Thomas Wommer zu den Herausforderungen beim Bau des Modells statt.Damit schließt sich ein durchaus ereignisreiches Jahr.

Haben Sie weitere Bilder, Hinweise und Informationen zum Pavillon Nietzschmann-Wommer, die hier nicht aufgeführt sind? Dann melden Sie sich bitte bei uns!

Pavillon Nietzschmann-Wommer Weihnachtskarte im Stil 1900
Pavillon Nietzschmann-Wommer Weihnachtskarte im Stil 1900 – Mattepainting (c) Jens Wommer
Artikel in der LVZ zum Pavillon
Artikel in der LVZ zum Pavillon

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2 Kommentare

  1. Kubiak 6. Januar 2022

    Ich bin verblüfft, was soll ich sagen? Großartig!!! Gustav Nietzschmann ist mein Urgroßvater, einer seiner Söhne Johannes Nietzschmann mein Großvater mütterlicherseits. Er hatte in Halle eine Fleischerei, und ich interessiere mich sehr für unsere Familiengeschichte. Ich werde mich bald bei Ihnen melden.

    • Jens 9. Januar 2022 — Autor der Seiten

      Hallo Peter,
      ich freue mich, dass ich doch noch das Vergnügen habe mich mit einem Urenkel Nietzschmanns auszutauschen und bin schon ganz auf deine Email gespannt. Mein Ur-Ur-Großvater Wilhem Sen. muss Gustav gut gekannt haben. Seine ersten beiden Söhne gaben wenige Jahre nach dem Tod meines Ur-Ur-Großvaters dann den Pavillon in Auftrag – für mich wäre es natürlich spannend zu wissen, ob noch weitere Aufzeichnungen, Devotionalien oder sogar Fotos von damals existieren. Aber auch was mit dem Keiler nach dem Abbruch passierte. 🙂 Vielleicht steht er ja noch in einem Vorgarten von deinen Cousins?
      Beste Grüße
      Jens Wommer

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