1945 – Gebrüder Wommer “Saxonia”-Fleischereimaschinen-Fabrik (Treuhänder Brauer)

Dank einer Verwandten der Familie Wilhelmi (Frau Vieregg), die uns freundlicherweise die Firmenunterlagen vom 1934-1947 überließ, lassen sich heute besonders die turbulenten ersten Nachkriegsjahre der Firma gut rekonstruieren. Statt in einem Altpapiercontainer für immer verloren, sind die Dokumente über uns zum Sächsischen Wirtschaftsarchiv e.V. (SWA) gelangt und wurden dort archiviert.

Am 29.08.1945 wurden die Eheleute der Familien Wilhelmi und Beyer (Schwester Erna Wilhelmis, Sekretärin und Ehemann ebenfalls in der Firma angestellt) über Nacht aus dem Betrieb “entfernt”. Die Verhaftung der Familie Wilhelmi erfolgte durch das 7. Kommissariat der politischen Kriminalpolizei. Es erfolgte eine Durchsuchung der Firma sowie der Wohnung, die im Chaos zurückgelassen wurde. Der Prokurist Brauer wurde für die nun herrenlose Firma als Treuhänder eingesetzt. Im November – erst nach über 10 bzw. 12 Wochen – wurden die Wilhelmis aus der Haft entlassen. Doch was war eigentlich der Grund für die Verhaftung?

Der Angestellte und Kommunist Alfred Brinke hatte über mehrere Wochen – insbesondere bei einer Unterredung in den Geschäftsräumen der Firma Clemens Humann – wissentlich unwahre Anschuldigungen gegen die Inhaber gemacht. So behauptete er, dass er und andere in der Firma Gebrüder Wommer 10 Zentner Fleischkonserven beschlagnahmt hätten. Am 20. Dezember – also einen Monat nach Freilassung der Eheleute Wilhelmi – legte Brinke erneut in einem Brief an das Amt für Betriebsneuordnung Leipzig mit bewusst unwahren Behauptungen und Anschuldigungen nach, was aber nicht zu einer erneuten Inhaftierung führte. Eine Beleidigungs- und Verleumdungsklage gegen Brinke wurde am 07.01.1946 über Justizrat Dr. M. Drucker und Dr. Kurt Eckstein eingereicht.

Klage Terminbekanntmachung
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Doch es drängt sich geradezu der Verdacht auf, dass besonders die erste Anschuldigung durch Brinke nur vorgeschoben wurde, um eine Hausdurchsuchung bezüglich einer ganz anderen Sachlage durchführen zu können: Aus einer Klageschrift vom 07.02.1946 der Gebr. Wommer Maschinenfabrik in Vertretung des Rechtsanwalts Dr. jur. Stötzner gegen die ehemaligen Inhaber Wilhelmi und Familie Beyer geht die Forderung auf “Herausgabe von Film-Negativen und einer Korrespondenzmappe mit Patentangelegenheiten”. Denn diese wurden am Tag der Verhaftung von der Polizei gesucht. Das Streitobjekt der Filmnegative – mit einem Streitwert von RM 550 angesetzt – wurde von der Firma Otto Taubert (Härtelstr. 21, Leipzig) von Feb.-Juli 1945 angefertigt. Die Unterlagen wurden in einem Panzerschrank im Keller der Firma Gebr. Wommer zunächst wegen Bombengefahr und nach Kriegsende in Wilhelmis Privatbüro eingelagert – jedoch bei der Razzia nicht gefunden. Es wurde wie aus einem Schreiben des anklagenden Anwalts hervorgeht befürchtet, dass die Wilhelmis in Bayern mit den Negativen einen Neustart der Firma in Erwägung zogen.

Der Antrag auf Abweisung der Klage der Wilhelmis über die Herausgabe der Dokumente fußte auf mehreren Punkten. Auf einer fehlendenVollmacht, da rein handelsrechtlich die Wilhelmis – trotz Verhaftung – noch immer Inhaber waren und sich damit eine Klage der Firma gegen die eigenen Inhaber ausschließe.

Auch die mögliche Benennung des Prokuristen Brauer als möglichen Kläger, der nun als Treuhänders eingesetzt wurde, würde rein rechtlich auf wackeligen Füßen stehen. Zudem wurde bereits klargestellt, dass der Verbleib der Unterlagen unklar ist und jede materielle Grundlage dafür fehle. Insbesondere wird in diesem Antrag auf Abweisung der Klage darauf aufmerksam gemacht, dass keine deutsche Behörde auf Grundlage des Befehls 124 das Recht habe Beschlagnahme, Enteignungen sowie Einsetzen von Treuhändern vorzunehmen. Lediglich eine Sequestrierung auf Grundlage eines Befehls eines Offiziers der SMA (Sowjetische Militäradministration) wäre möglich…

Doch genau dieser Schachzug wurde – ohne Kenntnis der Familie Wilhelmi bereits vollzogen: Otto Brauer wurde am 16.01.1946 als kommissarischer Treuhänder von der Landesverwaltung eingesetzt und am 19.02.1946 auf Befehl der SMA als Sequestor bestätigt. Das Antwortschreiben des Rechtsanwalts Dr. jur. Hermann Stötzner beginnt süffisant mit den Worten: “Die rein formell-rechtlichen Ausführungen hinsichtlich des Rechtsgebildes der Firma Wommer interessieren jetzt nicht mehr, nachdem die Firma sequestriert wurde.” Weiter bemerkt er, dass mit dem Befehl der SMA die bisherige Rechtsform erloschen sei und Brauer zum Wohle der Firma den Rechtsstreit anstreben müsse. Zudem gab er im Schreiben zu, dass die Stadt Leipzig auf Befehl der politischen Polizei des Sonderkommissariats 7 den Betrieb übernehmen musste. Auch die Rehabilitation der Wilhelmis ändere daran nichts mehr, da Brauer die Legitimation der Landesverwaltung und SMA nun habe. Weiter führte er aus, dass ein Eid über den Verbleib der grünen Mappe mit den Negativen und Patentunterlagen geleistet werden solle, um zügig zu einem Ergebnis zu gelangen.

Rat der Stadt Leipzig - Klagesache - Entscheid über Rechtmäßigkeit der Enteignung
Entscheid über Rechtmäßigkeit der Enteignung

Im März 1946 wurde die Fabrik mit vielen anderen bekannten Firmen aus Leipzig im ersten Band ‘Demontagen sächs. Betriebe’ StA-D, Rep. 11384 Nr. 1284 aufgeführt. Gleichzeitig findet sich aber auch der Hinweis in StA-D, Rep. 11384 Nr. 3538 auf Wiedereinbau demontierter Maschinen für Reparationsaufträge.

Am 18. Juli 1946 entschied der Rat der Stadt Leipzig, dass das Einsetzen des Treuhänders rechtens sei, da der Betrieb unter Zwangsverwaltung und unter der Kontrolle der SMA verbleibt. Damit hatte die Familie Wilhelmi alles verloren. Auch die Klage der Gebr. Wommer gegen Wilhelmi bezgl. der verschwundenen Mappe war mit diesem Entscheid rechtlich möglich. Ein kleiner Erfolg war jedoch die Abweisung der Klage auf Grund eidlicher Aussagen aller Beschuldigten, dass sie über den Verbleib der Negative usw. nichts wissen. Die Kosten des Verfahrens hatte die Firma Gebr. Wommer zu tragen. Doch warum wurde auf einmal so klein beigegeben?

Insgesamt drängt sich bei Einsicht aller Unterlagen geradezu der Verdacht einer möglichen Inszenierung von Anbeginn auf: Hatte wohlmöglich die politische Polizei des Sonderkommissariats 7 nur einen Grund finden wollen, um dann eine Beschuldigungskette gegen die Wilhelmis zu konstruieren und damit die Firma zu enteignen? War der Kommunist Brinke mit seinen erfundenen Anschuldigungen nur Mittel zum Zweck, um an persönliche Unterlagen der Wilhelmis mittels Razzia zu kommen – bzw. diese zu entwenden, um daraus eine Flucht mit dem Ziel einer Neugründung der Firma in einem West-Sektor zu konstruieren – mit dem Ziel die Inhaber vom Betrieb zu entfernen? Wurde dann später nur auf einen größeren Prozess verzichtet, da mittels Einsatz eines Sequestors über die SMA und der neuen Rechtslage die Eheleute Wilhelmi sowieso schon vom Betrieb ausgeschlossen waren und damit das Ziel bereits erreicht war?

Am 22. August 1947 verfügte das Wirtschafts- und Wirtschaftsplanungsministerium der Landesregierung Sachsen endgültig die entschädigungslose Enteignung der Firma Gebrüder Wommer mit Wirkung vom 1. Juli 1946. Die Geschäfte übernahm fortan ein von der Landesregierung “bestallter” Bevollmächtigter.

Enteignung
Enteignungsschreiben

Am 1.7.1948 erfolgte die Zuordnung der VEB Fleischereimaschinenfabrik Saxonia Leipzig zur VVB NAGEMA. Unter dem Namen Wommer wird zu dieser Zeit nicht mehr vermarktet – lediglich in den damaligen Adressverzeichnissen finden sich noch Hinweise zu den ursprünglichen Inhabern der Firma.

Nagema Saxonia Maschinenplakette
NAGEMA Maschinenplakette

1965 erfolgte die Aufgabe des Produktionsstandortes für Fleischereimaschinen (Gießerstr. 47) und der Anschluss an die VEB Druckmaschinenwerke Leipzig als Betriebsteil VI. Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde der Standort im Zusammenhang mit der Neustrukturierung und Konzentration des Druckmaschinenwerkes Leipzig in der Riesaer Str. als zirkon Druckmaschinen GmbH aufgegeben.

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